Die Steinsuppe

Eine Geschichte aus Portugal

Eines Tages klopfte ein Mönch an die Tür eines reichen Bauern aus dem Ribatejo und bat um etwas zu essen. Der geizige Bauer wollte ihn schon abweisen, da holte der Mönch einen großen runden Stein aus seiner Tasche und behauptete, dass man aus diesem Stein eine herrliche Suppe kochen könne. Alles, was man dazu brauche, sei ein Topf mit Wasser und eine Feuerstelle.

Der Bauer stutzte ein wenig und bat den Mönch, ihm diese Behauptung zu beweisen. Er rief seine Nachbarn zusammen. Die Nachbarn sagten es weiter. Und schließlich versammelten sich alle Bewohner des Dorfes auf dem Marktplatz. Sie schürten ein Feuer an und stellten einen Topf mit Wasser darauf. Der Mönch nahm den Stein und legte ihn ins Wasser. Dann kochte er den Stein, probierte das Wasser und meinte, eine Prise Salz könne nicht schaden. Man gab ihm Salz.

Der Mönch kochte weiter. Da meinte eine Nachbarin, sie hätte noch einen Kohlkopf im Garten, den könne man in Streifen schneiden. Eine andere Frau brachte Kartoffeln, eine dritte Zwiebeln, eine vierte Karotten und eine fünfte Bohnen. Der Mönch probierte wieder und erklärte dann: "Nun fehlen nur noch einige Würfel von Speck".

Da holte ausgerechnet der geizige Bauer aus seinem Keller einen großen Schinkenspeck, der in Würfel geschnitten wurde. Der Mönch warf die Würfel in seine Suppe und rundete sie mit ein wenig Pfeffer ab. Dann kostete er noch einmal und verteilte die Suppe auf die eilig herbeigeholten Tassen. Die Bewohner des Dorfes aßen, bis sie alle satt waren. Und sie waren sich einig: Es war die beste Suppe, die sie jemals gegessen hatten.

Diese Geschichte stammt aus Almeirim, einer kleinen Stadt im Tal des Tejo, etwa 100 km nordöstlich von Lissabon. Dort gibt es noch heute die "Steinsuppe", die auf Portugiesisch "sopa da pedra" heißt und nach einem eigenen landestypischen Rezept zubereitet wird. Und damals wie heute ist der Stein ein unverzichtbarer Bestandteil dieses Rezeptes.

Als wir vor drei Jahren mit unserem Mexiko-Projekt begonnen haben, da habe ich mich gefragt: "Wer soll das bezahlen? Die Gemeinde hat doch kein Geld!". Sie hat, genauer gesagt, schon Geld, aber nur wenig. Und das reicht gerade aus, um den Bauunterhalt zu sichern und das Personal zu bezahlen.

Nach drei Jahren bin ich beschämt, weil ich erkennen muss: Wir haben unser Spendenziel erreicht und sogar übertroffen. Und die Gemeinde ist dabei auch nicht ärmer geworden. Dieses Projekt ist wie eine Steinsuppe: Wir haben nichts gehabt - außer einem Topf mit Wasser und einem Stein. Aber jeder hat seinen Beitrag geleistet. Und so ist daraus eine köstliche Suppe geworden, die nicht nur die Mexikaner sondern auch uns satt gemacht hat.

Bevor wir nun gemeinsam eine echte Portugiesische Steinsuppe essen, darf ich noch ein Tischgebet sprechen: "Herr, wir kommen zu dem Essen, / lass uns deiner nicht vergessen, / denn du bist das Lebensbrot. / Speis die Leiber, stärk die Seelen, / die wir dir jetzt anbefehlen, / steh uns bei in aller Not. / Hilf, dass wir nach dieser Erden / deine Gäst im Himmel werden. Amen".

 

Niko Natzschka

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